Warum die Lebenszyklusanalyse für eine zukunftsfähige Chemieindustrie unverzichtbar ist

Lebenszyklus im Fokus: Der Schlüssel zu einer grüneren Chemie

Die Chemieindustrie nimmt eine unersetzliche Rolle im industriellen Ökosystem ein und trägt eine enorme Verantwortung. In Zeiten, in denen der Planet nach Nachhaltigkeit ruft und Transparenz entlang der Supply Chain zur aktiven Forderung von Politik und Gesellschaft geworden ist, hat die Chemiebranche ihre Sensoren tief in die Materie der grünen Revolution getaucht. Doch echter Klimaschutz liegt nicht nur in schönen Worten, sondern in messbaren Taten. Die Lebenszyklusanalyse (LCA) ist eine Ökobilanz. Sie ermöglicht es den Chemieunternehmen, in der Betrachtung aller Prozesse einen klaren Blick auf den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte zu werfen. Es geht dabei sowohl darum, Ressourcen, Emissionen und Umweltauswirkungen in Gänze zu betrachten, als auch um die Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen können.

Ein Beispiel: Die Abwasseraufbereitung kann, je nach Produkt und Verarbeitungsverfahren, einen signifikanten Einfluss auf den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens haben. Insbesondere wenn Wasser als Lösungsmittel dient, resultieren hieraus hohe tägliche Abwassermengen, reich an diversen Inhaltsstoffen. Während der Transport in der chemischen Industrie für den CO2-Ausstoß oft eine sekundäre Rolle spielt, geben präzise Messwerte entlang des Produktionsprozesses wertvolle Hinweise darauf, wo die größten CO2-Emissionsquellen liegen und wie diese reduziert werden können.

Recycelte Rohstoffe und „grüne“ Energie im Fokus

Um ambitionierte Ziele, wie die angestrebte Netto-Klimaneutralität bis 2030, zu erreichen, sollten Chemieunternehmen Rohstoffe und Energien effizienter verwenden und nachhaltiger gestalten. Das Integrieren von recycelten Rohstoffen oder der vermehrte Einsatz biobasierter Materialien ist hier ein Schritt in die richtige Richtung. Mechanisches und chemisches Recycling sind zwei gängige Ansätze. Spezielle Verfahren, wie die Pyrolyse, die Kunststoffe zu Öl umwandelt, oder die Plasma-Gasifizierung, die Materialien durch einen Plasma-Lichtstrom zerlegt, bieten neuartige Lösungsansätze.

Auf der Energieseite sollte der Fokus verstärkt auf „grünem“ Strom liegen. Anstatt Emissionen nur durch den Kauf von Zertifikaten auszugleichen, steht der direkte Bezug von erneuerbaren Energien im Vordergrund. Den derzeit überwiegend aus Erdgas gewonnenen Dampf, der in vielen Produktionsprozessen verwendet wird, ersetzen alternative Quellen, wie elektrische Dampferzeugung oder grüne Rohstoffe wie Biogas. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von synthetischem Methan, hergestellt aus CO2 und Wasserstoff. Zudem gewinnen Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture) an Bedeutung, da sie CO2 direkt aus Industrieprozessen oder der Atmosphäre entnehmen und es entweder speichern oder wiederverwerten können.

Gemeinsam die Herausforderungen des Klimawandels meistern

Die Wahl nachhaltiger Materialien und Prozesse kann zwar oft mit höheren Kosten verbunden sein. Da sich jedoch bei den Verbrauchern bereits ein wachsendes Umweltbewusstsein entwickelt, gilt es diesem auch entsprechen, um Kunden zu gewinnen und zu halten. Dabei bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung: Nicht nur Unternehmen, auch ihre Lieferanten, Dienstleister und selbst die Kunden müssen zusammen an der Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks arbeiten. Viele Unternehmen erkennen den Wert von Netzwerken und Kooperationen und schließen sich daher Forschungseinrichtungen, Innovationspartnerschaften und Branchenverbänden an. Hierbei werden Synergien genutzt und gemeinsam innovative Lösungen entwickelt. Die Botschaft ist klar: Nur im kollektiven Bemühen lassen sich die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen und eine nachhaltigere Zukunft gestalten.

Autor: Dr. Jörg Schappel, Director Safety, Health & Sustainability bei Kuraray Europe