Chem-Talk über Digitalisierung und Messtechnik von Vega in der Chemieproduktion

Stefan Kaspar, International Product Manager bei Vega Grieshaber, im Gespräch

Stefan Kaspar, Internation Product Manager bei Vega Grieshaber

Digitalisierung ist ein geflügeltes Wort in der Industrie. Sie verspricht, Prozesse effizienter zu gestalten. Messtechnik spielt dabei eine wichtige Rolle. An konkreten Beispielen erklärt Stefan Kaspar von Vega Grieshaber im exklusiven Interview, wie mit digitalen Lösungen die Dokumentation massiv vereinfacht wird. So lässt sich damit für die gesamte Produktion ein Überblick über den Zustand jeder einzelnen Komponente gewinnen, sollte es einmal Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess geben. Der Produkt-Manager beschreibt, wie Betreiber von Chemieanlagen mit herstellerübergreifenden Standards ihren Verwaltungsaufwand senken. Den Auftakt des Chem-Talks macht Wasserstoff als Energielieferant der Zukunft.

Die Technologie lässt sich relativ einfach einrichten, sie funktioniert plug-&-play. Auch für Ex-Anwendungen in der Prozessindustrie setzen wir unsere Hoffnung darauf, weil wir damit erstmals die Möglichkeit bekommen, vom Rechner in der Steuereinheit bis runter ins Feldgerät ohne Übermittlungsverluste zu kommunizieren. Das eröffnet uns Möglichkeiten, von denen wir bislang nur träumen. Beispielsweise, dass ein Gerät automatisch sein Backup auf einen Server legt und sich dieses im Bedarfsfall wieder automatisch zieht. Oder dass die Dokumentation im Feldgerät liegt und gar nicht mehr irgendwo auf einem Server. Denn so ließe sich die Betriebsanleitung direkt über einen FTP-Server aufrufen. Die Bedienung kann vereinfacht werden, beispielsweise über HTML5 ohne Zusatzfunktionalitäten oder Zusatzhardware. Wir können nicht nur Messwert, Füllstand oder Druck übertragen, sondern auch die Elektroniktemperatur, auftretende Schwingungen, Vibrationen oder Zusatzdiagnoseinformationen, die vom Anlagenbetreiber gesammelt werden können. Über einen Algorithmus zur Anomalie-Erkennung ließe sich feststellen, wo Probleme auftauchen. Zusammengefasst sind plötzlich Dinge möglich, die heute aufgrund der begrenzten Bandbreite der Informationen noch nicht realisierbar sind. Wir sind Mitglied in der Ethernet-APL-Arbeitsgruppe, um diesen umzusetzen. Wir arbeiten bereits an ersten Geräten und gehen davon aus, dass es Mitte 2024 unser erstes Ethernet-APL-Gerät geben wird.

Wie berücksichtigt Vega die steigenden Anforderungen an Security und welche Rolle spielt diese schon heute im Entwicklungsablauf?

Viele unserer Messgeräte sind in der kritischen Infrastruktur, wie Wasser, Abwasser oder in Kraftwerken, zu Hause. Gerade für diese wurden die Anforderungen an die Security noch mal deutlich erhöht. Auch Chemiebetriebe zählen dazu. Noch vor ein paar Jahren war das Themenfeld für unser Unternehmen Neuland. Auch fehlte eine entsprechende Normengebung. Mittlerweile hat sich der Standard „IEC 62443“ für IT-Sicherheit in industriellen Automatisierungssystemen durchgesetzt, für Feldgeräte zum Beispiel. Mit dem Radarsensor „Vegapuls 6X“ haben wir das erste Gerät vollumfänglich nach diesem Standard entwickelt, der „Secure by Design“ ist, ähnlich wie „SIL* by Design“. Das heißt, wir haben schon von Beginn an Security-Gesichtspunkte bei der Entwicklung einbezogen. Überlegungen über potenzielle Angreifer, mögliche Szenarien über Angriffspunkte und der bestmögliche Schutz gegen solche Angriffe sind hier eingeflossen. Obwohl in der Praxis der Radarsensor im Chemiebetrieb wahrscheinlich nicht das erste Angriffsziel ist, müssen wir trotzdem unsere Hausaufgaben machen. Unser erklärtes Ziel ist es, dass jedes künftige Vega-Gerät auch nach diesem Standard entwickelt wird. So kann der Anlagenbetreiber sicher sein, dass die Geräte nicht nur ausfallsicher, sondern auch vor Manipulation geschützt sind.

Welche Möglichkeiten zur vereinfachten Durchführung und Dokumentation von Wiederholungsprüfungen nach WHG und SIL gibt es?

Das ist ein Dauerthema in der Chemieindustrie. Viele Messstellen sind sicherheitsrelevant, entweder als SIL-Messstelle oder als WHG*-Überfüllsicherungen. Es gibt vorgeschriebene, sich wiederholende Prüfungen, um Fehler der Geräte frühzeitig aufzudecken. Um diese zu vereinfachen, haben wir schon vor vielen Jahren mit „Vegaflex 80“ eine vereinfachte Prüfung über den DTM* eingeführt. Hier kommuniziert man mit dem Gerät, indem eine Wiederholungs-Algorithmus-Prüfung gestartet wird. Dadurch werden Fehler aufgedeckt und ein einfaches Protokoll erzeugt, das eine gültige Dokumentation der Überprüfung für die Prüfinstanzen erstellt. Mit dem „Vegapuls 6X“ sind wir einen Schritt weitergegangen. Es wurde ein eigener Radar-Chip entwickelt und direkt von Beginn an so viel Diagnose wie möglich eingebaut. Das Gerät arbeitet nach dem FMCW*-Verfahren. Das heißt, es wird ein in der Frequenz moduliertes Radarsignal dauerhaft ausgesendet. Das reflektierte Signal hat eine verschobene Frequenz und über diese Frequenzverschiebung wird der Abstand berechnet. In unserem Chip können wir so ein Echo-Signal virtuell erstellen und dem Gerät einspeisen. Der Hauptprozessor weiß natürlich, wann welches Echo eingepflanzt wurde, und so lässt sich die komplette Signalkette zurückverfolgen. Es wird geprüft, wie sich der Soll-Abstand zum Ist-Abstand verhält. Dieses Wissen bedeutet eine sehr große Prüftiefe, ohne dass der Füllstand geändert werden muss. Das ist eine Erleichterung für den Anlagenbetreiber. Über einen Assistenten wird der Prozess angestoßen. Man kann über Bluetooth, App oder drahtgebunden über DTM eine Dokumentation generieren, um einen Nachweis gegenüber der Überwachungsstelle vorzuweisen. Der Bediener braucht dafür keine speziellen Kenntnisse, wie es früher in der Radarmesstechnik notwendig war. Der Assistent gibt Schritt für Schritt vor, was erledigt werden muss. Am Ende hat man die Gewissheit, dass man das Gerät sauber geprüft hat und dass es weiterhin seinen Dienst tut.

Sie haben Ihr gesamtes berufliches Leben im Sensorbereich verbracht. Sind Sie auch privat von so viel Technik umgeben?

Nicht nur beruflich war ich eigentlich immer mit Sensorik in Kontakt. Auch privat habe ich Spaß daran. Das geht bei einer automatischen Gartenbewässerung mit Regensensor los, die auch den Wetterbericht mit einkalkuliert. So wird das Regenwasser aus der Zisterne nur dann verwendet, wenn es auch wirklich nötig ist. Und ich kann mit meinen Kindern Fußball spielen, statt mit der Gießkanne rund ums Haus zu wässern. Natürlich bin ich auch ein großer Fan von Spracheingaben. Es gab zwar rege Diskussionen, wo welche aufgestellt werden können, aber ich habe ein paar unkritische Zonen gefunden. Wenn man morgens alle Hände voll hat, Alexa einem erzählt, wie das Wetter ist und man so direkt weiß, was die Kids in den Kindergarten anziehen müssen, dann ist das echt praktisch. Auch habe ich große Freude daran, meine Kaffeemaschine damit ein- und auszuschalten. Zudem gibt es Lampen im Haus, die in verschiedenen Farben entsprechend der Stimmung leuchten, kombiniert mit der richtigen Musik. Und wenn man das über einen Sprachbefehl einfach startet, das ist schon cool.

Man macht sich natürlich Gedanken, was mit den Daten passiert. Zugegebenermaßen bin ich da sehr freizügig, weil ich mir denke, was wollen die mit unseren Gesprächen machen? Damit kann man eigentlich nichts anfangen. Von daher bin ich da entspannt.

Herr Kaspar, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!

*Redaktionshinweis:

  • SIL = Safety Integrity Level; Maßeinheit zur Quantifizierung der Risikoreduzierung
  • WHG = Wasserhaushaltsgesetz zum Schutz des Grundwassers vor Verunreinigungen
  • DTM = Device Type Manager; diese enthalten Regeln und Dialoge für Konfiguration und Diagnose und ermöglichen Konfigurationswerkzeugen den Zugang über eine standardisierte Schnittstelle.
  • FMCW = Frequency-Modulated Continuous Wave Radar; frequenzmoduliertes Dauerstrichradar, das ein kontinuierliches Sendesignal abstrahlt
     

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