Interview: Ethernet-APL für die speziellen Anforderungen der Prozessautomatisierung

„Hier stimmt die Chemie“: Chem-Talk mit dem PNO-Vorstandsvorsitzenden Karsten Schneider

Karsten Schneider, Vorstandvorsitzender der Profibus Nutzerorganisation (PNO)

Industrie 4.0 und Digitalisierung bzw. IoT sind die Treiber für die Evolution der industriellen Kommunikation. Schließlich werden Informationsmodelle für möglichst alle Systemkomponenten erst durch die Anschlussebene (Physical Layer) Realität. In diesem Zusammenhang spielen Daten- und Netzwerksicherheit bzw. IT-Security außerdem eine zentrale Rolle. Im Chem-Talk mit dem Vorstandvorsitzenden der Profibus Nutzerorganisation (PNO) Karsten Schneider und Susanne Woggon von chemieproduktion-online.de werden dazu die Themen Standardisierung, Module Type Package (MTP), Omlox sowie die Rolle, Ausrichtung und Weiterentwicklung der PNO beleuchtet.

Ethernet-APL, für die speziellen Anforderungen der Prozessautomatisierung, wurde freigegeben und ist nun - integriert in die Profinet-Welt - verfügbar. Was macht Ethernet-APL besonders und was können Sie zum Entwicklungsprozess sagen?

Die Entwicklung von Ethernet-APL war in jeder Beziehung herausragend. Zum einen wurden alle Arbeitspakete sehr konzentriert und pünktlich abgearbeitet. Dies war vor allem hinsichtlich der internationalen Standardisierung und Zertifizierung wesentlich. Zum anderen haben alle Beteiligten sehr gut zusammengearbeitet. Daher ist nun die Spezifikation abgeschlossen und Ethernet-APL ist bereit für seinen praktischen Einsatz. Derzeit werden Testtools für die Zertifizierung der Komponenten entwickelt und die Hersteller werden sicherlich auf der Achema erste Produkte mit Ethernet-APL zeigen. Bisher standen nur Prototypen zur Verfügung, die bereits in einem Testaufbau bei der BASF in Ludwigshafen auf Funktion und Praxistauglichkeit untersucht wurden. Die dortigen Tests verliefen sehr positiv und daher sind wir sehr zuversichtlich, dass Ethernet-APL schon bald seinen Weg in die breite Anwendung finden wird.

Wie sieht die PNO SPE in diesem Zusammenhang und die zwei gebildeten Allianzen dazu?

Zwar handelt es sich bei Ethernet-APL ebenfalls um eine Zweileitertechnologie, diese wurde jedoch aus dem Blickwinkel der Prozessindustrie entwickelt. Stichworte sind hier der Explosionsschutz aber auch die Direktverdrahtung/-verschraubung. SPE wendet sich eher an die Fertigungsindustrie und benötigt diese Erweiterung nicht. In diesen Anwendungen geht es eher darum, eine praxisnahe Lösung für den letzten Anschluss an den letzten Meter zu erhalten. Daher ist es sicher nicht zielführend, wenn es der Anwender mit einem heterogenen Umfeld bei den Steckern zu tun bekommt. Um ein Beispiel aus dem privaten Umfeld nehmen: Wir sind doch alle sehr froh, dass wir bei unseren Handys mittlerweile auf beliebige Ladekabel zurückgreifen können. Ich bin daher zuversichtlich, dass die beiden Allianzen zusammen arbeiten werden.

Die Profibus Nutzerorganisation hat, zur Unterstützung der Verbreitung von Profinet over TSN, das Profinet-Community-Stack-Projekt gestartet. Wie ist hier der aktuelle Stand und was die Erwartungen?

Wir wollten es den Herstellern leichter machen. Daher machte es Sinn, einen für alle Hersteller einheitlichen Kern des Protokoll-Stacks gemeinsam zu entwickeln und diesen auch zu pflegen. Wie bei einem Open Source-Projekt wird der Stack permanent weiter entwickelt. Das Projekt beschleunigt nicht nur die Umsetzung der Technologie und reduziert den Aufwand des einzelnen Herstellers, sie hilft auch dabei, die Interoperabilität zwischen Geräten verschiedener Hersteller zu verbessern. Neue Entwicklungen rund um TSN oder beispielsweise Security Funktionen lassen sich damit schneller integrieren. Ich möchte aber betonen, dass es nur um den Stack geht und dass bei der Applikation jeder Hersteller frei ist. Eine Herausforderung waren die juristischen und organisatorischen Dinge, also Nutzungsbedingungen, gemeinsamer Server etc. Diese Aspekte sind nun geklärt und daher steht jetzt die erste Version des Profinet-Community-Stack zur Verfügung, die ab sofort genutzt werden kann.

In einer flexiblen Welt wird die flexible Produktion immer relevanter. Omlox ist die herstellerübergreifende Lokalisierungs-Lösung für verschiedene Komponenten unterschiedlicher Hersteller. Seit 2020 ist das Thema bei der PNO angesiedelt. Version 2 wird bald veröffentlicht. Wo sehen Sie Omlox in 5 bis 10 Jahren?

Omlox stößt inzwischen auf großes Interesse, nicht nur in Europa, sondern auch weltweit, besonders in den USA. Die ersten Praxistests verlaufen erfolgreich. Daher erarbeiten wir derzeit neue Use Cases. So sind zum Beispiel interessante Projekte auf dem Weg, in denen die Tracking-Welt mit Augmented Reality-Applikationen kombiniert wird. Dies wird vollkommen neue Möglichkeiten bei Service und Wartung eröffnen. Ich denke, in fünf Jahren wird Omlox weltweit von vielen Herstellern unterstützt und wir werden neue Anwendungen für die Indoor-Ortung und -Navigation entdecken.

Die Corona-Pandemie hat der industriellen Robotik einen enormen und langfristigen Schub gegeben. Es zeigt sich umso stärker, dass Standardisierung und offene Schnittstellen in diesem Segment noch deutliche Ausbaumöglichkeiten haben. Mit der neuen Working-Group zielt die PNO auf ein Standard-Interface zwischen Speicherprogrammierbaren Steuerungen und Roboter-Controllern. Welche Hersteller sind bereits dabei?

Es bestand seit langem der Wunsch, dass Anwender die in einer Produktionslinie integrierten Roboter-Komplettsysteme verschiedener Hersteller über das SPS-Programmiersystem einheitlich steuern und programmieren können. Mit anderen Worten: Es war Zeit für eine Standardisierung und zwar nicht nur firmenintern, sondern herstellerübergreifend. Die Umsetzung war jedoch technologisch nicht ganz einfach, weil jeder Roboterhersteller seine eigene Automatisierungswelt mit sich brachte. Dennoch: Für die Definition einer einheitlichen Datenschnittstelle zwischen der SPS und den Robotersteuerungen sind mittlerweile alle großen und wichtigen Hersteller an Bord, im Einzelnen sind dies ABB, Comau, Epson, Fanuc, Jaka, Kawasaki, Kuka, Nachi, Panasonic, Stäubli, TM Robot, Universal Robots, Yamaha, Yaskawa. Wir sind daher zuversichtlich, dass in Zukunft die Roboterprogrammierung für SPS-Programmierer und SPS-Anbieter einheitlich - und damit effizienter - gestalten lässt.

Marktbedingungen ändern sich immer schneller. Mit dem von Namur und ZVEI entwickelten MTP werden Zeit und Kostenaufwand für die Integration von Anlagen und Ausrüstung reduziert. MTP ist seit kurzem im PNO-Portfolio. Welche Aufgabe übernimmt und welche Chancen sieht die PNO?

PI ist bereits seit einigen Jahren Mittler zwischen Herstellern und Anwendern, Organisationen und Standardisierungsgremien, Sicherheitsexperten und IT-Profis. Insbesondere bei komplexen Aufgaben ist häufig enorme Detailkenntnis nötig, um zukünftige Technologien praxisnah zu integrieren. Ohne Kooperationen und Zusammenarbeit mit anderen Organisationen kann man diese Entwicklungen nicht vorantreiben. Daher wollte die Namur, also die Anwender aus der Prozessindustrie, und der ZVEI insbesondere solche Aufgaben, wie die weltweite Standardisierung, die Zertifizierung aber auch das Training in unsere Hände legen. MTP wird eine wichtige Rolle auf dem Weg der Prozessindustrie in die Industrie 4.0-Welt spielen, da hiermit die schnelle und flexible Einbindung von Package Units in vorhandene Automatisierungsstrukturen möglich ist. Wir freuen uns, dass wir die Technologie hosten und die Prozessindustrie auf diesem Weg begleiten dürfen.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Inwieweit setzen Sie auch in Ihrem privaten Umfeld auf Standardisierung?

Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit der Verwaltungsschale beschäftigt und mir tatsächlich eine persönliche Verwaltungsschale eingerichtet, um den Ertrag meiner Solaranlage auf einer eigenen Web-Oberfläche darzustellen. Man kann diesen natürlich auch direkt am Wechselrichter ablesen oder über ein gerätespezifisches Webtool auslesen, aber so habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wie groß die Herausforderungen bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Technologie manchmal sein können und wie einfach Dinge gehen, wenn eine starke Community bereits den Weg bereitet hat.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!
 

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