Pharma- und Chemieindustrie steigert Produktion um 1,6 Prozent im ersten Quartal 2022

Chemieproduktion rückläufig, Pharma entwickelt sich positiv

Chemiepark Marl

Laut Branchenverband VCI konnte die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland das erste Quartal 2022 insgesamt noch zufriedenstellend abschließen. Deutschlands drittgrößter Industriezweig steigerte die Produktion leicht um 1,3 Prozent, weil sich der Pharmabereich positiv entwickelte. Die restlichen Chemiesparten mussten hingegen ihre Produktion um durchschnittlich 1,1 Prozent gegenüber Vorquartal drosseln. Damit lag die Chemieproduktion ohne Pharma 1,6 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Im 12-Monatsvergleich legte die Produktion um 2,8 Prozent zu. Die Kapazitätsauslastung der Chemie- und Pharmaindustrie ging zurück und lag am Jahresanfang mit 80,9 Prozent unterhalb des Bereichs einer Normalauslastung.

Der Krieg in der Ukraine belastete im ersten Quartal das Chemiegeschäft. Den Unternehmen der Pharma- und Chemieindustrie machten Störungen in den Lieferketten und stark steigende Energie- und Rohstoffkosten zu schaffen. VCI-Präsident Christian Kullmann kommentiert die konjunkturelle Lage der Branche: „Vom erhofften Aufschwung nach dem Coronawinter ist nichts mehr übriggeblieben. Die Perspektiven unserer Branche sind wegen steigender Energie- und Rohstoffkosten zunehmend düster. Außerdem drosseln industrielle Kunden wegen gestörter Lieferketten ihre Produktion und bestellen weniger Chemikalien. Ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätte zusätzliche verheerende Auswirkungen.“

Umsätze profitieren von gestiegenen Erzeugerpreisen

Kräftig steigende Energie- und Rohstoffkosten beschleunigten im ersten Quartal den Preisauftrieb bei Chemikalien und Pharmazeutika. Die Erzeugerpreise der chemisch-pharmazeutischen Industrie legten am Jahresanfang mit einem Plus von 6,7 Prozent gegenüber Vorquartal noch einmal deutlich zu. Damit waren chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse durchschnittlich 21,6 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Die stark steigenden Erzeugerpreise bescherten der Branche am Jahresanfang noch einmal ein kräftiges Umsatzplus. Der Gesamtumsatz der Branche stieg trotz Produktionsrückgang saisonbereinigt um 7,8 Prozent auf insgesamt 66,3 Milliarden Euro. Das Corona-bedingt schwache erste Quartal 2021 wurde um 28,4 Prozent übertroffen. Der Umsatz mit inländischen Kunden nahm mit einem saisonbereinigten Plus von 9,8 Prozent besonders kräftig zu. Mit einem Inlandsumsatz von 26,1 Milliarden Euro wurde auch das Vorjahresniveau mit 36,2 Prozent kräftig übertroffen. Besonders hoch fielen die Umsatzzuwächse in der energieintensiven Grundstoffchemie aus, die teils Preiszuwächse von über 30 Prozent verzeichnete. Auch die Geschäfte auf den internationalen Märkten liefen gut. Der Auslandsumsatz der Branche stieg saisonbereinigt um 6,6 Prozent über Vorquartal. Mit 40,2 Milliarden Euro wurde 23,7 Prozent mehr als im Vorjahr auf den Auslandsmärkten umgesetzt.

Positiv entwickelten sich die Geschäfte in Europa, dem wichtigsten Absatzmarkt der deutschen Pharma- und Chemieindustrie. Der Krieg in der Ukraine dämpfte jedoch die Geschäfte mit den osteuropäischen Ländern. Insbesondere der Handel mit Russland ist im März um die Hälfte eingebrochen. Das Nordamerikageschäft verzeichnete mutmaßlich aufgrund der anhaltend hohen Nachfrage nach Impfstoffen ein deutliches Plus. Die Umsätze in Asien nahmen sowohl bei Pharmazeutika als auch bei Chemikalien deutlich zu. Auch die Verkäufe in lateinamerikanische Länder legten kräftig zu.

Spartenentwicklung: Chemieindustrie rückläufig, Pharma legt zu

Die Produktionsentwicklung der Sparten war im Quartalsverlauf mit Ausnahme von Pharma nach unten gerichtet, entgegen zur steigenden Preisentwicklung. Die Hersteller von anorganischen Grundchemikalien konnten ihre Produktion gegenüber dem sehr schwachen Vorquartal ausweiten. Im Quartalsverlauf sank die Produktion aber bereits wieder. Die Produktion von organischen Grundchemikalien, zu denen Petrochemikalien und Polymere zählen, wurde gegenüber Vorquartal gedrosselt. Der Rückgang war dabei für Petrochemikalien deutlich höher. Hier wurde auch das Vorjahresniveau nicht mehr erreicht. Weiter steigende Preise bescherten den Unternehmen trotz Produktionseinbußen jedoch deutliche Umsatzzuwächse. Weiterhin sehr schwierig waren die Geschäfte für die Hersteller von Fein- und Spezialchemikalien. Hohe Rohstoffkosten auf der einen Seite und eine nachlassende Nachfrage auf der anderen Seite ließen die Produktion von Spezialchemikalien sinken. Zwar stiegen die Preise auch in dieser Sparte. Die Umsätze gingen jedoch gegenüber dem Vorquartal zurück. Die Belebung bei den Herstellern von Wasch- und Körperpflegemitteln hielt im ersten Quartal an. Die Produktion konnte weiter ausgeweitet werden, sowohl gegenüber Vorquartal als auch gegenüber Vorjahr. Weiterhin erfreulich lief es für die Hersteller von Pharmazeutika. Die Produktion von Pharmazeutika konnte im ersten Quartal des Jahres das sechste Mal in Folge ausgeweitet werden. Das Wachstum übertraf dabei alle anderen Chemiesparten. Bei moderaten Preissteigerungen stiegen die Umsätze im Vergleich zum Vorquartal deutlich, sowohl im In- als auch im Ausland. Insgesamt liefen die Geschäfte im Inland noch etwas besser als im Ausland. 

Ausblick: Konjunktureller Tiefpunkt noch nicht erreicht

Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat trotz widriger Umstände für das erste Quartal 2022 noch eine zufriedenstellende Bilanz vorweisen können. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch erhebliche Bremsspuren. Die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage hat sich in den letzten Monaten eingetrübt. Der Stimmungsumschwung zeigt sich vor allem bei den Geschäftserwartungen. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine herrscht in vielen Unternehmen Rezessionsstimmung. Für die kommenden Monate rechnet der überwiegende Teil der Branche mit einem Rückschlag im Chemiegeschäft. Der Krieg in der Ukraine treibt die Energie- und Rohstoffkosten in die Höhe und verschärft die Probleme in den Lieferketten. Hinzu kommen die Lockdowns durch die Null-Covid-Strategie in China, die den globalen Handel empfindlich stören. Die industriellen Kunden der Chemieindustrie drosseln aufgrund dieser Störungen zunehmend die Produktion, vor allem in Deutschland und Europa. Damit sinkt die Nachfrage nach Chemikalien.

Die Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung haben sich seit Jahresbeginn erheblich eingetrübt. Dies gilt insbesondere in Europa. Viele Konjunkturexperten haben ihre Prognosen in den letzten Monaten deutlich nach unten korrigiert. In diesem Umfeld muss man für das deutsche Chemiegeschäft in den kommenden Monaten mit weiteren Dämpfern rechnen. Ob die Perspektiven sich zum Jahresende wieder verbessern, ist ungewiss. Sorgen bereiten den Unternehmen die Versorgungssicherheit bei Öl und Gas sowie die weitere Entwicklung in China. Der Branchenverband erwartet, dass das Produktionsniveau des Vorjahres kaum zu erreichen ist. Der VCI verzichtet weiterhin auf eine quantitative Vorhersage für die Entwicklung der Branche im Gesamtjahr 2022.