Weltpremiere: Chemieanlage wird 35 Tage durch autonome KI gesteuert

Praxistest von Yokogawa und JSR

JSR Destillationsanlage

Die Yokogawa Electric Corporation  und die JSR Corporation geben den erfolgreichen Abschluss eines Praxistests bekannt, bei dem 35 Tage in Folge Künstliche Intelligenz (KI) für den autonomen Betrieb einer Chemieanlage genutzt wurde - eine Premiere weltweit. Mit dem Test konnte bestätigt werden, dass KI mit bestärkendem Lernen in einer bestehenden Anlage auf sichere Weise genutzt werden kann. Es wurde nachgewiesen, dass mit dieser Technologie Tätigkeiten gesteuert werden können, die über die Möglichkeiten bestehender Steuermethoden hinausgehen (PID-Regelung/APC) und bei denen bisher die manuelle Betätigung von Steuerventilen auf Grundlage der Einschätzungen des Anlagenpersonals nötig war. Die Initiative wurde für das Förderprogramm Projects for the Promotion of Advanced Industrial Safety 2020 des japanischen Ministeriums für Wirtschaft, Handel und Industrie ausgewählt.

Steuerungen sind in der Prozessindustrie für ein breites Spektrum von Bereichen wichtig: von der Ölraffination und Petrochemie bis hin zu Hochleistungschemikalien, Glasfasern, Stahl, Pharmazeutika, Lebensmitteln und Wasser. All dies beinhaltet chemische Reaktionen und andere Elemente, die einen äußerst hohen Grad an Zuverlässigkeit erfordern. Im Praxistest konnte die KI-Lösung erfolgreich die komplexen Bedingungen bewältigen, die erforderlich sind, um die Produktqualität zu gewährleisten und den Flüssigkeitsstand in der Destillationskolonne auf einem angemessenen Niveau zu halten, während gleichzeitig Abwärme als Wärmequelle bestmöglich genutzt wurde. Auf diese Weise konnte die Qualität stabilisiert, ein hoher Ertrag erzielt und Energie gespart werden. Regen, Schnee und andere Witterungseinflüsse waren zwar Faktoren, die den Kontrollzustand durch plötzliche Veränderungen der Lufttemperatur stören konnten, aber die hergestellten Produkte entsprachen strengen Normen und wurden inzwischen ausgeliefert. Da nur qualitativ hochwertige Produkte hergestellt wurden, entfielen außerdem Kraftstoff-, Arbeits- und Zeitverluste sowie andere Verluste, die bei der Herstellung von Produkten entstehen, die nicht den Spezifikationen entsprechen. Über ein dreistufiges Verfahren konnte ein sicherer Betrieb gewährleistet werden.

Masataka Masutani, General Manager Produktionstechnologie bei JSR: „In einem Umfeld, das sich aufgrund von Faktoren wie der flächendeckenden Einführung von 5G und anderen Entwicklungen hin zu einer digitalen Gesellschaft sowie der Überalterung des Personals, das die Anlagensicherheit gewährleistet, und dem Mangel an Arbeitskräften, die sie ersetzen könnten, verändert, steht die petrochemische Industrie unter starkem Druck, die Sicherheit und Effizienz ihrer Produktionsaktivitäten durch den Einsatz neuer Technologien wie IoT und KI zu verbessern. JSR ist darauf ausgerichtet, die Produktion durch die proaktive Einbindung von Drohnen, IoT-Sensoren, Kameras und anderen neuen Technologien intelligenter zu machen, und in diesem Experiment haben wir uns der Herausforderung der Automatisierung der Anlagenprozesssteuerung mit Hilfe von KI-Steuerungstechnologie gestellt. Wir haben nachgewiesen, dass KI in der Lage ist, Prozesse, die zuvor manuell auf der Grundlage der Erfahrung der Bediener durchgeführt wurden, autonom zu steuern, und wir sind fest von der Nützlichkeit und dem Zukunftspotenzial der KI-Steuerung überzeugt. Von den Anwendern haben wir gehört, dass sich nicht nur die Belastung der Bediener verringert hat, sondern dass allein die Tatsache, dass wir uns der Herausforderung dieser neuen Technologie gestellt haben und erfolgreich waren, eine Motivation ist, DX in die Zukunft zu führen. In Zukunft werden wir den mit KI gesteuerten Betrieb ausweiten und daran arbeiten, die Sicherheit, Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit von Chemieanlagen zu verbessern.“

Die bei diesem Kontrollexperiment verwendete KI, das Protokoll „Factorial Kernel Dynamic Policy Programming“ (FKDPP), wurde 2018 gemeinsam von Yokogawa und dem Nara Institute of Science and Technology (NAIST) entwickelt und im Rahmen der International Conference on Automation Science and Engineering des IEEE als weltweit erste KI anerkannt, die für das Anlagenmanagement genutzt werden kann. Über Initiativen wie die erfolgreiche Durchführung eines Experiments mit einem Steuerungstrainingssystem im Jahr 2019 und einem Experiment im April 2020, bei dem eine gesamte Anlage mittels eines Simulators nachgebildet wurde, konnte Yokogawa das Potenzial dieser KI für autonome Steuerung bestätigen und von einer Theorie in eine für die praktische Nutzung geeignete Technologie weiterentwickeln. Diese kann in Bereichen genutzt werden, in denen eine Automatisierung mit herkömmlichen Regelungsmethoden (PID-Regelung und APC) bisher nicht möglich war. Eine der Fähigkeiten dieser Technologie ist es, widersprüchliche Ziele zu bewältigen, wie z. B. der Forderung nach hoher Qualität und Energieeinsparung.

Angesichts der zahlreichen komplexen physischen und chemischen Phänomene, die sich auf den Betrieb von Anlagen auswirken, gibt es weiterhin viele Situationen, in denen erfahrenes Fachpersonal eingreifen und die Kontrolle übernehmen muss. Selbst wenn der Betrieb mittels PID-Regelung und APC automatisiert wird, müssen Fachleute mit viel Erfahrung die automatisierte Steuerung anhalten und Konfiguration und Ausgangswerte ändern, wenn beispielsweise eine plötzliche Veränderung der Lufttemperatur aufgrund von Niederschlägen oder anderen Wetterereignissen auftritt. Dies ist ein verbreitetes Problem, das in vielen Anlagen auftritt. Beim Übergang zur industriellen Autonomie besteht eine große Herausforderung darin, eine autonome Steuerung in Situationen einzuführen, in denen bisher ein manuelles Eingreifen unerlässlich war - und zwar mit so wenig Aufwand wie nötig, bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus. JSR ist überzeugt, dass diese Demonstration das Potenzial von KI für die Bewältigung von Herausforderungen zeigt, die in Chemiewerken bisher nicht gelöst werden konnten. Das Unternehmen wird die Anwendung von KI bei weiteren Verfahren und in anderen Werken untersuchen, um weitere Produktivitätssteigerungen zu erzielen. In Zukunft wollen beide Unternehmen weiterhin zusammenarbeiten und Möglichkeiten untersuchen, wie KI in Anlagen genutzt werden kann.

Kenji Hasegawa, Vice President von Yokogawa Electric und Leiter der Yokogawa Products Headquarters: „Der Erfolg dieses Praxistests rührte aus der Kombination der umfassenden Kenntnisse des Produktionsverfahrens und der operativen Aspekte, die nur die Kundschaft bieten kann, sowie aus der Stärke von Yokogawa bei der Nutzung von Messungen, Steuerung und Informationen für die Schaffung von Wert. Dies legt nahe, dass eine KI für autonome Steuerung (FKDPP) in signifikanter Weise zur Autonomisierung der Produktion, zur Maximierung der Rendite und zur ökologischen Nachhaltigkeit weltweit beitragen kann. Yokogawa ist weltweit führend bei der Entwicklung dezentraler Steuerungssysteme, mit denen der Betrieb von Produktionsanlagen kontrolliert und überwacht werden kann, und hat bereits das Wachstum verschiedenster Branchen unterstützt. Wir blicken fest auf die Welt des autonomen Betriebs, die das Modell für die Zukunft ganzer Branchen darstellt, und fördern so jetzt das Konzept IA2IA - „Industrial Automation to Industrial Autonomy“. Um eine starke und flexible Produktion zu realisieren, bei der der Einfluss von Unterschieden zwischen Menschen, Maschinen, Materialien und Methoden (den ʻ4 Msʼ) in den Branchen Energie, Werkstoffe, Pharma und vielen anderen Branchen mit berücksichtigt wird, werden wir die gemeinsame Entwicklung von KI für autonome Steuerungen zusammen mit unserer Kundschaft auf der ganzen Welt beschleunigen.“
 

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