Studie zur Digitalisierung: Bei Chemie 4.0 kommt es auf das Betriebsmodell an

Modularisierung der Produktion

Komplexität des Produktportfolios

Ob ein Chemieunternehmen auch in der Zukunft Erfolg hat oder aufgrund zu hoher Kosten und selbstgeschaffener Komplexität dem Wettbewerb hinterherhinkt, entscheidet das Betriebsmodell. Eine aktuelle Studie des Beratungsspezialisten Camelot Management Consultants zeigt, dass Digitalisierung und Modularisierung zukünftig zu einer ausgeprägteren Differenzierung der Operating-Modelle von Chemiegeschäften führen werden. Das Operating-Modell umfasst die Produktions- und Distributionsnetzwerke, Vertriebskanäle sowie die Werteflüsse über die Gesellschaftsstruktur.

Die meisten Chemieunternehmen sind in strategische Geschäftsfelder gegliedert, die weitgehend selbständig ihr Betriebsmodell gestalten. Das Prinzip der eigenständigen Business Unit dürfte nach Einschätzung der Studienautoren auch zukünftig bestimmend bleiben. Auf der Ebene der Geschäftseinheiten dagegen werden Entwicklungen bei Kunden und in der Technologie starke Veränderungen bewirken:

Kunden: Die zunehmende Individualisierung der Produkte relativiert die Bedeutung von Größenvorteilen. Modulare Anlagen ermöglichen zugleich eine effiziente dezentrale, kundennahe Produktion, zumindest für die letzten Wertschöpfungsstufen.

Technologie: Im Zusammenwirken von Inprozess-Kontrolle, Automatisierung und künstlicher Intelligenz wird auch in Mehrzweckanlagen kundenspezifische Produktqualität auf Kundenauftrag und in kleinen Losen möglich. Die Automatisierung von End-to-End-Prozessen und Verlagerung der unterstützenden Applikationen in die Cloud fördern die weitere Konsolidierung von Vertriebs- und Logistikfunktionen bis zum Outsourcing ganzer Prozesse.

Wie diese Entwicklungen die Operating-Modelle verändern könnten, zeigt das Beispiel typischer Spezialchemieunternehmen in Europa. Die Profitabilität klassischer Kerngeschäfte wie z.B. organische Pigmente, Farbstoffe und Additive steht seit Jahren unter Druck. Gleichzeitig hat die Komplexität des Produktportfolios zugenommen, getrieben durch profitable, oft kundenspezifische Neuentwicklungen. Vor diesem Hintergrund entschließen sich Hersteller zur Aufteilung des Portfolios (siehe Bild):

  • Standardprodukte im Portfolio – z.B. klassische Druckpigmente und Textilfarbstoffe oder Licht-Stabilisatoren - sind letztlich austauschbar und sehr preissensitiv. Sie werden in einem „Effizienz“-Geschäftsmodell mit schlanken Kostenstrukturen geführt.
  • Produkte mit kundenspezifischer Ausprägung – z.B. Hochleistungspigmente für Automobillacke, Additive für die Papier- und Textilherstellung – werden durch ein „Maßanfertigungs“-Geschäftsmodell abgedeckt.
  • Innovative, kundenspezifische Entwicklungen mit hohem Mehrwert, z.B. Spezialadditive für Textilfinish, Druckfarben und Pigmente für digitalen Textildruck, sind Bestandteile gemeinsam mit dem Kunden entwickelter Lösungen und werden in einem „Kundenlösungs“-Geschäftsmodell geführt.

Die commoditisierten Geschäfte verbleiben oftmals im Portfolio des Unternehmens. Zum einen sollen die Vorteile hoher Anlagenauslastung allen Produkten und Vorprodukten zugutekommen, zum anderen werden immer wieder reifere Produkte in den „Effizienz“-Teil hinüberwandern. Im Gegensatz zur Differenzierung der Geschäftsmodelle ist die Neuausrichtung der Operating-Modelle noch nicht konsequent durchgeführt. Das wird sich aber mit Nutzung der vorhandenen oder in Entwicklung befindlichen Technologien ändern. Im beschriebenen Szenario weisen die Operating-Modelle für die Teilgeschäfte im Bereich Supply-Chain und Logistik Gemeinsamkeiten auf, unterscheiden sich aber deutlich in der Produktion.

Vertrieb, Supply-Chain und Logistik

Um die Position in den reifen Märkten so lange wie möglich durch optimale Kostenstrukturen zu verteidigen, setzt das „Effizienz“-Geschäftsmodell auf automatisierte Abwicklungsprozesse. Zentraler Vertriebskanal ist ein Webshop, über den der Vertrieb fast ausschließlich läuft. Hier werden standardisierte Produkte und begleitende Services angeboten, letztere gegen Aufpreis. Auch Produktinformationen werden kostenlos nur über den Webshop bereitgestellt. Die Back-Office-Prozesse (Auftragsabwicklung) sind automatisiert („zero-touch-order“) und werden aus einem europäischen Shared-Service-Center unterstützt.  Mit der Einführung eines neuen ERP wird auf eine Cloud-Lösung umgestellt.