Chemie legt ökonomische Folgenanalyse zur „EU-Chemikalienstrategie“ vor

Reform des europäischen Chemikalienrechts geplant

Der europäische Chemieverband Cefic hat untersuchen lassen, welche ökonomischen Folgen die in Brüssel geplante „EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ für die chemische Industrie in Europa voraussichtlich haben wird

Führende Branchenvertreter haben einen dringenden Appell an die Europäische Kommission gerichtet, gemeinsam einen Transformationspfad für die europäische Chemieindustrie zu entwickeln, der massive Investitionen unterstützt, um die Ziele des europäischen Green Deals zu erreichen. Dieser Aufruf folgt auf die Veröffentlichung der ersten einer Reihe von Studien des unabhängigen Wirtschaftsforschungsunternehmens Ricardo Energy & Environment über die wirtschaftlichen und betrieblichen Auswirkungen der EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (Chemicals Strategy for Sustainability, CSS). Auftraggeber der Studien ist der europäische Chemieverband Cefic.

Die analytischen Bewertungen stützen sich auf die Eingaben von mehr als 100 europäischen Chemieunternehmen. Sie sind ein Beitrag zu den laufenden Folgenabschätzungen der Europäischen Kommission zur Revision der EU-Chemikaliengesetzgebung, welche vor allem die CLP-Verordnung (Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen) und die Reach-Verordnung (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien) umfasst. Cefic-Präsident und CEO von BASF Dr. Martin Brudermüller: „Die europäische Chemieindustrie unterstützt die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien. Wir sind bereit, mit der Kommission und den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um die politischen Ziele zu erreichen, so wie wir bereits am Übergang zur Klimaneutralität unserer Branche arbeiten. Die Ergebnisse der ersten einer Reihe von Berichten zeigen, dass wir vor einer enormen Herausforderung stehen. Um unsere Industrie in die Lage zu versetzen, diesen Wandel zu vollziehen, braucht sie einen klaren Transformationspfad. Ich rufe die europäischen Politiker und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten dazu auf, mit uns zusammenzuarbeiten und die CSS in eine echte Wachstums- und Innovationsstrategie umzuwandeln.“

Nach dieser ersten Studie könnten allein 12.000 chemische Stoffe in den Anwendungsbereich der beiden anstehenden Gesetzesvorschläge fallen: die Änderungen der CLP-Verordnung und die Anwendung eines Allgemeinen Risikoansatzes (Generic Risk Approach, GRA). Die Studie ergab, dass diese Stoffe bis zu 43 Prozent des Gesamtumsatzes der europäischen chemischen Industrie ausmachen könnten. Das entspricht 214 Milliarden Euro.

In einem zweiten Schritt wurden verschiedene Gewichtungsfaktoren angewandt, die noch zur Diskussion stehende technische Definitionen und Kriterien aus der CSS betrachten und letztendlich Aufschluss über die Tragweite der legislativen Änderungen geben werden. Die Berater kommen zu dem Schluss, dass das am wahrscheinlichsten betroffene Produktportfolio immerhin noch bis zu 28 Prozent des geschätzten Umsatzes der Branche ausmachen wird. Die befragten Unternehmen gaben an, dass etwa ein Drittel dieses höchstwahrscheinlich betroffenen Portfolios von 28 Prozent potenziell substituiert oder umformuliert werden könnte. Inwieweit die Unternehmen in der Lage sind, potenziell betroffene Produkte zu ersetzen, hängt jedoch weitgehend von den Einzelheiten der bevorstehenden Verordnungen ab. Außerdem kommt es darauf an, was technisch und wirtschaftlich machbar ist, und wie die Kunden auf die Ersatzstoffe oder neu formulierte Produkte reagieren werden. Die am stärksten betroffenen nachgeschalteten Sektoren werden voraussichtlich Klebstoffe und Dichtstoffe, Farben sowie Wasch- und Reinigungsmittel sein.

Dr. Martin Brudermüller: „Die Rolle der chemischen Industrie besteht darin, nachgeschaltete Kunden mit notwendigen Rohstoffen und Produkten zu versorgen, um die Ziele des Green Deals zu erreichen. Die chemische Industrie in der EU ist ein wichtiger Zulieferer für alle verarbeitenden Industrien und für wichtige und strategische Wertschöpfungsketten, einschließlich Pharmazeutika, Elektronik, Batterien für Elektrofahrzeuge und Baumaterialien. Die beabsichtigten Strategieänderungen, die mit der CSS einhergehen, werden auch einen erheblichen ,,Rückkopplungseffekt" auf viele Wertschöpfungsketten haben, die auf Chemikalien angewiesen sind.“

Die wirtschaftliche Folgenabschätzung kam zu dem Schluss, dass die bevorstehende Chemikaliengesetzgebung selbst bei der Anpassung verschiedener Studienparameter erhebliche Auswirkungen haben wird. Unabhängig vom gewählten Szenario wird die Umsetzung der Chemikalienstrategie zu einen Netto-Marktverlust von mindestens 12 Prozent des Branchenumsatzes bis 2040 nach sich ziehen. Da bisher nur zwei der in der CSS vorgeschlagenen Maßnahmen bewertet wurden, werden die kumulativen Auswirkungen aller weiterer in der Strategie angedachten Änderungen noch größer sein. Zudem wurden die Wirkung dieser Maßnahmen auf die europäischen Chemikalienexporte bisher nicht untersucht. Dieser Bereich könnte die Gesamtauswirkungen aber noch erheblich verstärken.

Dr. Martin Brudermüller: „Die chemische Industrie war schon immer von Innovation, Leidenschaft für neue Technologien und Unternehmergeist geprägt. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass eine branchenweite Substitutionsanstrengung grundsätzlich möglich wäre. Die Ziele der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit scheinen somit prinzipiell erreichbar. Es besteht jedoch große Unsicherheit darüber, wie die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette dies unter den derzeitigen Rahmenbedingungen erreichen können. Die Industrie braucht Vorhersehbarkeit für wirtschaftliche Investitionen in den kommenden zwei Jahrzehnten. Damit wir die vielen Herausforderungen des Green Deals meistern können, brauchen wir einen soliden Übergangsrahmen für die chemische Industrie.“

Der vorgeschlagene Übergangsrahmen sollte Zeitpläne und Maßnahmen für die Industrie zur Entwicklung von Ersatzstoffen enthalten und sich auf die Produkte konzentrieren, für die diese Ersatzstoffe zuerst verfügbar sein können. Dabei sollte er auf bewährten und etablierten Ansätzen wie der Risikobewertung im Rahmen von Reach aufbauen. Es werden Anreize benötigt, um Märkte für diese neuen Chemikalien zu schaffen, kombiniert mit einer verstärkten Kontrolle der Reach- und der Produktsicherheitsvorschriften für Importe. Das Paket sollte durch eine starke Innovationsagenda ergänzt werden, um die Entwicklung von sicheren und nachhaltigen Alternativen zu beschleunigen. Schließlich sollte der Transformationspfad auch die drei anderen Herausforderungen berücksichtigen, die die chemische Industrie meistern muss: Klimaneutralität, Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft. Der nächste Bericht wird voraussichtlich im zweiten Quartal 2022 veröffentlicht.